Nach der Tagung zur Diskussion zwischen Aussagepsychologie und Traumaforschung in Mainz im April 2016 sind in drei Fachzeitschriften Tagungsberichte von mir erschienen.

Einen der Artikel gebe ich hier exemplarisch wieder.Das „PP“ (Deutsches Ärzteblatt für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichen-Therapeuten, Ausgabe 6/2016), das Ärzteblatt Rheinland-Pfalz (Ausgabe 6/2016) und die Zeitschrift „Trauma und Gewalt“ (Heft 3/2016) haben Tagungsberichte von mir veröffentlicht.

Alle Vorträge der Tagung sind auf der Homepage der Veranstalterin (Traumainstitut Mainz) veröffentlicht. (Link zu den Vorträgen)

Exemplarisch gebe ich hier den Artikel aus der Ausgabe des Ärzteblattes Rheinland-Pfalz, Ausgabe 6/2016, wieder:

Traumatische Erinnerungen und Aussagepsychologie – ein unüberbrückbarer Graben zwischen Forschung und Justiz?

Claudia Fischer, Mainz

Für die Opfer von Gewalttaten ist der Gang vor Gericht häufig eine Tortur. Am liebsten würden Sie die Taten vergessen, hätten gerne ihre alte Unbeschwertheit und ihr Urvertrauen in die Menschheit zurück. Durch die Taten psychisch belastet, müssen sie sich aber im Zeugenstand meist bohrenden Fragen stellen. Fragen nach Details aus der erlebten Situation, an die sie sich häufig gar nicht im einzelnen erinnern können. Und diese Befragungen gibt es nicht nur im Strafrecht, wo es Täter zu verurteilen gilt, sondern z.B. auch im Sozialrecht, wenn die Betroffenen ihr Recht auf staatliche Opferentschädigung einfordern wollen.

„Es ist für komplex traumatisierte Opfer so gut wie unmöglich, ein Sozialgerichtsverfahren zu gewinnen“, fasste Dr. Brigitte Bosse, die Leiterin des Traumainstituts Mainz, ihre Erfahrungen als Traumatherapeutin zusammen. Aus dieser Motivation heraus hatte sie Traumaforscher und Juristen nach Mainz zu einer Fachtagung eingeladen. Bestätigt wurde ihr Anliegen unter anderem von Roswitha Müller-Piepenkötter, der Bundesvorsitzenden des Weißen Rings: „Um Rechtsfrieden zu erreichen, müssen wir dafür sorgen, dass die Perspektive von Verbrechensopfern mehr in Gerichtsverfahren einbezogen wird.“

Aber die Situation ist vertrackt, wie im Laufe der Tagung deutlich wurde. Denn für den behutsamen Umgang mit psychischen Belastungen ist vor Gericht wenig Raum. „Richter nehmen die Erinnerungen von Opferzeugen und zerlegen sie in juristische Straftatbestände. Sie selektieren und ordnen die Zeugenaussagen nach diesen Kriterien“, erklärte Prof. Dr. Thomas Fischer, Vorsitzender am Bundesgerichtshof, seine Arbeit. Während die Psychotherapeuten beschreiben, wie Opfer in Therapien um ihre Erinnerungen ringen, konstatiert Jurist Fischer: „Wir fragen nicht Wirklichkeit ab, sondern Tatbestandsmerkmale.“

Dafür rufen die Gerichte regelmäßig aussagepsychologische Gutachter zu Hilfe. Deren Aufgabe ist es, die Glaubhaftigkeit der Zeugen zu überprüfen und Fehlerquellen (falsche Erinnerungen, bewusste Falschaussagen oder Manipulationen) auszuschließen, erklärte Gutachter Prof. Dr. Günter Köhnken von der Universität Kiel. Dazu gehen sie methodisch von der so genannten „Nullhypothese“ aus. Diese besagt, dass jemand die Unwahrheit sagt, bis diese Annahme anhand der gesammelten Fakten nicht mehr zu halten ist.

„Das spüren die begutachteten Personen, und es setzt sie unter Druck. Insbesondere Menschen mit schwachem Selbstbewusstsein oder Kinder halten deshalb einem Gutachten in der Praxis häufig nicht stand“, kritisierte Malte Meißner von der Kinderschutzambulanz in Hagen die Aussagepsychologie. Und das Selbstbewusstsein von Gewaltopfern ist durch die Taten häufig schwer erschüttert.

Dabei betonten die vortragenden Ärzte auf der Tagung, dass Erinnerungen von Trauma-Patienten auch nach Therapien durchaus verlässlich sind. Dr. Harald Schickedanz, Leiter der psychotherapeutischen Klinik Bad Mergentheim, machte deutlich, dass Therapien vielen traumatisierten Menschen erst helfen, ein Erlebnis aus dem emotionalen Körpergedächtnis (z.B. Flashbacks oder physische PTBS-Symptome) überhaupt in einen zeitlichen Ablauf bringen und in Worte fassen zu können. Und Ph. D. Ellert Nijenhuis zeigte aktuelle Forschungen (Vissia et al., 2016, im Druck), die belegen, dass Menschen mit starken traumatischen Belastungen (PTBS, DIS) nicht leichter beeinflussbar sind als psychisch gesunde Menschen. Die Unterstellung, Therapeuten würden grundsätzlich die Erinnerungen ihrer Patienten beeinflussen, sei nicht haltbar.

„Heute muss man sich als Arzt nicht mehr zwischen Hilfe für den Patienten und Stabilisierung für ein Gerichtsverfahren entscheiden“, erklärten die Ärzte. Dagegen zitierte Richter Fischer aus Prozessakte, dass er immer wieder Sätze lese wie „Das Personal der Klinik hat die Patientin bestärkt, ihre Vorwürfe gegen den Angeklagten aufrecht zu erhalten.“ Das seien natürlich Faktoren, die Zweifel an einer Aussage schüren und im Zweifelsfall zu einem Freispruch eines Angeklagten führen müssen. „In dubio pro reo.“

Um Manipulationen auszuschließen, helfe nur eine möglichst lückenlose Dokumentation aller Befragungen durch Ärzte, Therapeuten, Ermittler und Justizvertreter, empfahl Gutachter Köhnken. Denn auch manipulative Fragen der Justizvertreter könnten eine Erinnerung verändern. Aber eine solche Dokumentation, z.B. auf Video, sei in der Praxis nicht umsetzbar. Und sie seien eine Zumutung für die therapeutische Arbeit, ergänzte eine niedergelassene Therapeutin aus dem Publikum.