Die Webseite „Volksverpetzer“ hat ein „Plädoyer an die Presse“ mit „10 Ideen gegen die Medienkrise“ veröffentlicht. Dabei geht es eigentlich mehr um die Demokratie als die Medienkrise. Was mir an diesem Plädoyer richtig gut gefällt …
Ich finde es richtig gut, dass dieses Plädoyer die Medienschaffenden an ihre Wirkungsmacht und ihre Verantwortung erinnert. Auch unter Journalist*innen stelle ich in den letzten Jahren eine Verzweiflung und Passivität fest, die mir Sorgen macht. Dinge erscheinen alternativlos, Formate werden wichtiger als Inhalte, Berichterstattung geht nur so und nicht anders, „das Publikum“ (wer???) will „das“ so (Formate, Längen, Ansprache) usw.
Viele Redaktionen verkennen dabei, dass sie sich ihr Publikum aber auch erzogen haben. Wer über Jahre von 3:30 Minuten über 2:30 auf 1:30 oder noch kürzer mit seinen Radio- oder Fernsehbeiträgen immer oberflächlicher wird, muss sich nicht wundern, wenn Aufmerksamkeitsspannen immer kürzer werden und die Leute lieber „youtube-Shorts“ oder Insta-Reels gucken als Hintergrundstücke und Deep-Dive-Journalismus. Um nur ein Beispiel zu nennen, wie „die Medien“ sich selbst ihrer Qualtität beraubt haben.
Die Leute vom „Volksverpetzer“ spielen den Ball nun zurück: „Du gestaltest den Diskurs“. Zitat:
Schließlich muss Journalismus alle befähigen, am Diskurs teilzunehmen, das ist sein Grundauftrag, das ist unsere Verantwortung.„
Ich will hier nicht die konkreten Tipps und Hinweise wiederholen, die Ihr viel besser auf der Seite des Plädoyers des Volksverpetzers selbst nachlesen könnt.
Aber es gibt noch einen zweiten wichtigen Punkt, weshalb ich die Lektüre empfehle:
Die Kritik am Mediensystem!
Nicht nur die Redaktionen und Journalist*innen brauchen diese Erinnerung an ihre Aufgaben, Selbstwirksamkeit und Werte, sondern die Medienlandschaft an sich ist in einer teilweise selbstgemachten Krise. Nur wenige haben der Machtkonzentration der großen Verlage in den vergangenen Jahren etwas entgegengesetzt – vor allem auch nicht aus der Politik. Die Gefahren für die Demokratie waren lange absehbar, aber die Poltiker*innen haben lieber immer mal wieder mit den demokratiezersetzenden Medien (looking at you, BILD) geflirtet, statt in den Dialog mit kritischem, aber faktenbasiertem Journalismus zu gehen. Jetzt haben wir den Salat. Gerade das Sterben der lokalen Tageszeitungen war auch ein Sterben lokaler Kultur und Kompetenz vor Ort – und das ist nicht meine These, sondern das wurde schon lange von soziologischer oder politologischer Forschung etc. prophezeit.
Ich habe 20 Jahre selbst als Regionalreporterin beim WDR in Bielefeld gearbeitet und kannte meine Region gut, konnte politische Entwicklungen und Personen einschätzen und habe gemerkt, wenn irgendwo in Ostwestfalen-Lippe irgendetwas rumort, was spannend ist und Veränderungen andeutet. Diese Kompetenz kann kein zentrales Medienhaus irgendwoanders in Deutschland ersetzen. Auch als Redakteurin im Infoportal Rituelle Gewalt gehe ich bei jedem Thema immer den Weg, als erstes nach Lokalberichterstattung über Urteile, Fälle und Straftaten zu suchen, oder nehme Kontakt mit den Kolleg*innen vor Ort auf, um mehr über die Hintergründe eines Urteils zu erfahren. Diese Kompetenz droht zu sterben. Und dagegen können wir alle etwas tun: Abonniert Eure lokale Tageszeitung, wenn Ihr es Euch irgendwie leisten könnt, egal, wie oft Ihr sie lest.
Support your local media!“
(Geschrieben in Bielefeld, einer der wenigen Städte, die glücklich sein können, noch zwei konkurrierende Tageszeitungen zu haben, die Neue Westfälische und das Westfalen-Blatt. Es gibt sogar einen Eintrag auf Wikipedia zum Thema „Einzeitungskreis“.)
Gut, an der Medienkonzentration können/konnten einzelne Journalist*innen und Redaktionen vielleicht nichts tun. Und ich weiß von vielen Kolleg*innen, mit wieviel Sorge sie diesen Trend beobachtet haben über die Jahre. Aber woran sie etwas hätten tun können: An der Diversität in den eigenen Reihen! Wir brauchen mehr Frauen und queere Menschen im Journalismus, mehr Menschen mit Migrationsgeschichte und anderer Perspektive, mehr junge usw., damit die, die schreiben, filmen und senden, überhaupt das abbilden, was ein diverses Publikum lesen/hören/sehen will. Und auch das gehört zu den Forderungen des Volksverpetzers.