Im Oktober 2006 habe ich am ersten Deutschen Trauma-Seminar der ZFP, der Zentralen Fortbildungsakademie für ARD und ZDF, teilgenommen. Hinterher haben Petra Tabeling und ich einen Tagungsbericht geschrieben.Das Seminar wurde geleitet von Fee Rojas, Therapeutin und damals ZFP-Mitarbeiterin, und Mark Brayne, damals Dart Centre London, heute selbständiger Therapeut.

Update 2015: Mit Fee Rojas und Petra Tabeling verbindet mich bis heute eine kollegiale Freundschaft und Zusammenarbeit. Wir bieten inzwischen gemeinsam mit Thomas Görger Seminare unter dem Stichwort „Nicht schaden“ an.

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Bericht vom ZFP-Seminar „Berichte vom Trauma – Workshop zum journalistischen Umgang mit Menschen in extreme Belastungssituationen“, 16.-17.10.2006

 von Claudia Fischer und Petra Tabeling

Eigentlich stehen wir nur vor einer ganz normalen Bürotür. Wir wissen, dass wir uns in den Räumen der ZFP, der  Zentralen Fortbildungsstelle für Programmmitarbeiter von ARD und ZDF in Hannover befinden, und doch ist uns mulmig zumute. Denn hinter der Tür erwartet uns folgendes Szenario: Nach einem Bombenanschlag in einem Fußballstadion laufen Opfer und Angehörige ziellos umher, es hat Verletzte und vielleicht sogar Tote gegeben. Unsere Aufgabe als Reporter mit Kamerateam: herauszufinden was passiert ist und mit den Opfern reden, in wenigen Stunden läuft die Sendung, bis dahin müssen wir die Informationen haben. Wir wissen nicht, wie es den Menschen, geht, die wir gleich sehen werden, wissen nicht, ob sie verletzt oder traumatisiert sind. Der Puls schlägt schneller, die Rolle der Opfer wird von Schauspielern übernommen, und dennoch: wohl ist uns nicht zumute.

Da ist der verzweifelte Vater, der seinen Sohn sucht und mit Selbstvorwürfen kämpft, ihn ganz alleine ins Stadion geschickt zu haben. Da ist der Sicherheitsbeamte, der sich eigentlich nicht von der Stelle rühren darf und zugibt, nicht richtig aufgepasst zu haben, wer das Stadion betritt. Eine Sanitäterin, selbst verletzt, steht offensichtlich unter Schock und will dennoch helfen. Eine junge Stadionbesucherin sitzt zusammengesunken auf einem Stuhl, starrt apathisch und zitternd auf den Boden und stammelt etwas von Männern mit Rucksäcken, die sie noch gesehen hatte, bevor es ohrenbetäubend knallte.

Wir stellen uns den unterschiedlichen Situationen so gut, wie es geht, versuchen, die eigene Aufgeregtheit nicht zu zeigen, sondern wollen ruhig mit der Person, die gerade etwas schreckliches erlebt hat, reden. Manchmal macht das, was wir hören, selbst betroffen, sogar hilflos. Die Schauspieler machen ihre Sache perfekt. Als die Übung beendet ist, sind wir nicht nur erleichtert, sondern auch neugierig, wie wir auf die Schauspieler gewirkt haben.

Die Ergebnisse sind vielfältig: Je ruhiger die Stimme der Interviewerin, desto besser, manchmal wird sogar der Tontechniker zum Gesprächspartner, nur weil seine Stimme fester klingt. Eine zaghaft aufgelegte Hand hätte eine Schauspielerin am liebsten abgeschüttelt, ein deutlicher Griff an die Schulter wirkt für den anderen hingegen wohltuend. Und auch, wenn sie aufgeregt hin und her laufen, eine klare Ansage wie „Bitte setzen Sie sich erst einmal“ gibt Orientierung und beruhigt.

Dies sind die Ergebnisse eines Rollenspiels bei einem Seminar zur Berichterstattung über traumatische Situationen im Oktober 2006 in Hannover. Neun Journalistinnen und Journalisten von ZDF, ARD und dem Schweizer Fernsehen hatten die Aufgabe, mit diesen Schauspielern möglichst sendefähige Interviews zu führen. Auch wenn die Medien-Profis seit Jahren immer mal wieder in ihrer Berichterstattung mit traumatisierten Menschen zu tun hatten, kamen sie bei dieser Aufgabe auch an Grenzen. Eigene Unsicherheiten übertragen sich direkt auf die sowieso bereits desorientierten Augenzeugen. Der einfachste, menschliche Weg ist der beste: Ein Glas Wasser, ein Stuhl, eine Decke oder Jacke ist das, was die Menschen jetzt brauchen – dann sind durchaus auch Interviews möglich. Aber gehört es zur Aufgabe von Journalisten, zu helfen, und sei es nur mit einem Schluck Wasser? Und was tun, wenn wir uns „zu sehr“ kümmern und unsere Berichterstattung aus den Augen verlieren? Andererseits ist die Gefahr, eine dramatische Situation durch Unerfahrenheit zu verschlimmern, sehr groß. Um so wichtiger ist die Auseinandersetzung mit diesen Aspekten im Schonraum eines Seminars.

Die Journalistinnen und Journalisten müssen eine Position finden zwischen zwei Stressfaktoren: Dem natürlichen Skrupel „Was tue ich hier, die Leute brauchen jetzt etwas ganz anderes als mein Mikrofon!“ und den Redaktionen, die möglichst schnell und möglichst hautnah den Bericht vor Ort haben wollen. „Es ist eine wichtige Aufgabe, die Journalisten bei einer Katastrophe erfüllen. Nur wenn die Öffentlichkeit erfährt, dass ein Unglück geschehen ist, wird Hilfsbereitschaft aktiviert“, betont Seminarleiter Mark Brayne vom Dart Center in London immer wieder. Und ZFP-Trainerin Fee Rojas klärt die Teilnehmer über die schmale Grenze zwischen hilfreicher Empathie und oft grenzüberschreitender, journalistisch häufig unprofessioneller Sympathie auf.

Die Verantwortung für die traumatisierten Menschen hört mit dem Ende des Interviews nicht auf. Welchen O-Ton darf man senden? Hat die Interviewpartnerin wirklich wahrgenommen, dass die Kamera lief? Sind die Beobachtungen eines traumatisierten Menschen wirklich glaubwürdig, oder finden extreme Wahrnehmungsverzerrungen statt? Die Einschätzungen der Medien-Profis im Seminar gehen oft weit auseinander.

Bislang gab es für Journalistinnen und Journalisten in der Inlands-Berichterstattung von ARD und ZDF kaum Hilfestellung bei Interviews in extremen Belastungssituationen. Wer ins Ausland geht, wird vorher zum Bundeswehr-Training nach Hammelburg geschickt. Bei Unfällen, Explosionen oder Überschwemmungen, beim Bahnunglück in Eschede, einem Amoklauf in einer Erfurter oder Emsdettener Schule oder dem Turnhallen-Einsturz in Bad Reichenhall wurden die Reporterinnen und Reporter ohne Vorbereitung eingesetzt. „Learning by Doing“ – das kann für die Betroffenen einer Katastrophe genauso wie für die eingesetzten Reporterinnen oder Kameraleute gefährlich sein. Ein Teilnehmer, selbst leitender Redakteur, formulierte es so: „Die Chefebene muss verstehen, dass das wirklich ein Problem für unsere Mitarbeiter ist, und keine Gefühlsduselei“. Ein Workshop, wie er jetzt in Hannover stattfand, kann dabei helfen einen „gesunden Journalismus“ zu trainieren. Im Mai 2007 findet der nächste statt.